Michael Powell

Erfolgreiches Regie-Duo: Emeric Pressburger und Michael Powell (r.)
Im grauen Alltag der Nachkriegstrümmer-Zeit war man glücklich, wenn im Kino strahlend und farbenprächtig die Wunderwelt von Technicolor ablenkte. Neben den saftigen Abenteuern und Melodramen der Warner Brothers wie "Robin Hood - König der Vagbunden" oder die Legende von Elizabeth I. und Essex, dem "Günstling einer Königin", in denen britische Geschichte ebenso liebevoll wie prunkreich nachgedichtet wurde, haben die Briten selbst den eigenen farbenprächtigen Ausstattungsfilm entdeckt.

Die Meister dieses Genres waren Michael Powell und Emeric Pressburger, die als Produzenten, Autoren und Regisseure eineinhalb Jahrzehnte als Tandem auftraten. Ihre Namen verbinden sich bei uns mit Titeln wie "Der Dieb von Bagdad", "Die roten Schuhe", "Die schwarze Narzisse" oder "Hofffmanns Erzählungen". Und sie waren als P&P neben Alexander Korda und J. Arthur Rank die großen Pioniere des britischen Kommerzkinos.

Michael Powell kommt als 20jähriger durch seinen Lehrmeister und Freund Rex Ingram zum Film. Er assistiert bei Ingram, später bei Alfred Hitchcock und Lupa Pick. Nach einer Reihe billiger Auftragsfilme dreht er 1937 mit "Am Rande der Welt" seinen ersten persönlichen Film

Emeric Pressburger ist drei Jahre älter, stammt aus Ungarn und hat in Prag und Wien studiert. Schon früh verdient er seinen Lebensunterhalt als Klavierspieler im Stummfilmkino. Später schreibt er Drehbücher, führt kurz mal Regie, dann bringt ihn Alexander Korda mit Michael Powell zusammen. Ein paar Jahre später gründen die beiden die Produktionsfirma ´"The Archers": Der schwirrende Pfeil, der auf der Zielscheibe ins Schwarze trifft - das Markenzeichen der Firma - wird bald so bekannt sein wie Alexander Kordas "Big Ben" und der Paukenschlag des Muskelmanns bei der J. Arthur Rank. Der brüllende Löwe der MGM hat sein britisches Pendant.

Inzwischen werden Filme für 20 oder 100 Millionen Dollar produziert, in zehn Jahren allerdings hat man sie vergessen - wenn nicht noch eher. Dagegen lösen die heroische Heldenmärchen vom Colonel Blimp - ganz zu schweigen vom "Dieb von Bagdad" - noch nach einem halben Jahrhundert Faszination aus.

Apropos "Colonel Blimp", die erste harte Bewährungsprobe der jungen "Archers" 1942/43: Ein ganzes Jahr lang führte Sir Winston Churchill einen erbitterten Kampf um die Dreharbeiten, um später die Publikation eines Films zu vereiteln, der nach seiner Ansicht "die Disziplin der Armee unterminiere."
"Leben und Sterben des Colonel Blimp" erzählt von der Freundschaft zweier Offiziere, eines Engländers und eines Deutschen, die zwei Weltkriege überdauerte. Doch die Kriegspropaganda erlaubt keine "Audweichung des Feindbildes". Churchills Einfluß auf die britische Filmproduktion konnte den Film nicht verhindern, bestimmte aber immerhin die dauernden Änderungen und Kürzungen. Erst Ende der 70er Jahre konnte das Britische Filminstitut eine fast vollständige Rekonstruktion des Films durchführen.

Betrachtet man das Werk von Powell & Pressburger, so wird einem die Unsinnigkeit von Churchills Vorwurf besonders bewußt, denn mangelnder Patriotismus ist diesen Filmen - einschließlich des ironisch gebrochenen Soldatenbildes im "Colonel Blimp" nun keineswegs vorzuwerfen. Eher stört heute angesichts der handwerklich brillanten Machart der Filme das ständig mit Nachdrucxk zelebrierte Hohe Lied auf England, die Briten und ihren geradezu heiligen Krieg.

Da schleicht sich ein hoher deutscher Offizier - Conrad Veidt - an der britischen Küste herum, wird von einer Agentin mit Informationen versorgt, doch sie ist in Wirklichkeit die Frau eines englischen Offiziers, der zum Schein mit den Deutschen kollaboriert. Am Ende geht alles gut und der böse Conrad Veidt, der wie Graf Dracula ganz in Schwarz als "Der Spion in Schwarz" (1939) durch die Nebellandschaft huscht, bekommt seinen verdienten Lohn. Krieg, Spionage, und heroische Gestalten tauchen immer wieder in den Filmen der Kriegszeit auf, in den Spielfilmen ebenso deutlich wie in den Kriegspropagandafilmen.

"Korda war ein guter Freund von Churchill, der für ihn vor dem Krieg Filmstories geschrieben hatte. Korda hatte Churchill versprochen, wenn der Krieg ausbräche, würde er seinen ganzen Stab mit Regisseuren, Technikern und Schauspielern für Propagandafilme zur Verfügung stellen" sagte Michael Powell einmal.

So entsteht 1939 "The Lion Has Wings", in dem Michael Powell einer der drei Regisseure ist. Einer der berühmtesten Krigesfilme der Archers aber ist "Der 49. Breitengrad". Das ist einer der großen britischen Propaganda-Filme, die im Auftrag des Ministeriums für Information gedreht werden. Eine Reihe berühmter Stars hat in kleinen Rollen mitgespielt, die Dreharbeiten finden in Kanada statt, denn es geht um den U- Bootangriff der Nazis auf Kanada.

Michael Powell sagte in einem Interview: "Anfangs war das Finanzministerium gegen den Film: Gerade war Frankreich gefallen, der Kampf um Großbritannien stand bevor und da kommt so ein Bastard und will 50- oder 80tausend Pfund, um einen Film in Kanada zu drehen!" Der Film wird gedreht und sein Erfolg übertrifft alle Erwartungen.

Wann immer Powell & Pressburger sich dem satten, kulinarischen Ausstattungskino stellten, dann aren sie unübertroffene Meister. Natürlich kommt bei solchen Ausstattungsfilmen das Spezialisten-Team voll zum Zug. So etwa der deutsche Kostüm- und Maskenbildner Hein Heckroth, die Kameraleute Jack Cardiff, Christoffer Challis und Georges Perinal.

Bei den Powell/Pressburger-Filmen fallen immer wieder stilistische Eigenarten auf, etwa die wiederkehrenden Farbkontraste in Filmen wie "Die schwarze Füchsin" ("Gone to Earth", 1950), "Die roten Schuhe" (1948) und "Die schwarze Narzisse" (1947): Knallrote Schuhe in einer zart pastellfarbenenen Bühnendekoration, später auf einer realistischen Straße das knallrote Kleid von Jennifer Jones ("Die schwarze Füchsin") auf einer leuchtend grünen Wiese, die bunten Gewänder der Einheimischen gegenüber den weißgekleidenten Nonnen in "Schwarze Narzisse". Wehende Schleier, flatternde lange Haare, eine Kirchenglocke schlägt, aber gegen sie setzen sich immer stärker die Kultgesänge der Andersgläubigen durch.

In den Schwarzweiß-Filmen kontrastiert häufig ein tiefes Schwarz in einer nebligen Umgebung. Heroische Szenen erscheinen besonders hell ausgeleuchtet, das Undurchsichtige, Zwielichtige verschwindet im Nebelschleier.

"Kino ist Kunst und Kommerz. Diese beiden Maximen habe ich versucht, immer zu berücksichtigen. Kalkulation gehört dazu: Ein Beispiel: "The Small Back Roolm" war 1949 ein Flop. Niemand wollte damals einen Film sehen, der im Krieg spielt, wo Menschen sterben und Bomben explodieren. Das war eine Fehlkalkulation", sagt Michael Powell.

Eine Fehlkalkulation ist auch "Peeping Tom - Augen der Angst" von 1960, den man heute als Psychokrimi mit Hitchcocks besten Werken vergleicht. Der Film, den man mit Zorn überschüttet, ist seiner Zeit weit voraus. Martin Scorsese und Francis Ford Coppola nennen Powell ihr Vorbild, Powell selbst fühlt sich von Fritz Lang, von Murnau, von Charles Chaplin und David Wark Griffith beeinflußt. Vor allem aber von Rex Ingram: "Filmgeschichte ist ein Kreislauf. Alles kehrt wieder." Doch "Die roten Schuhe" und "Peeping Tom" sind Filmgeschichte wie Powell & Pressburger.



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Donnerstag, 16. Mai 2002

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Peeping Tom - Augen der Angst
Thriller, Großbritannien, 1960, 96 min